Harry Belafonte in Las Vegas

AUS „LIEDER UND GESCHICHTEN IM TRANSIT“

Text: Nedim Hazar / Regie: Heinz Kloss

Nedim Hazar, Volksbühne am Rudolfplatz, Köln, 2019. Foto: Hakan Güzey


Eine Theaterszene über den Sänger, Schauspieler und Menschenrechtler Harry Belafonte aus der Musik Revue „Lieder und Geschichten im Transit“.

Harry Belafonte wollte eigentlich Schauspieler werden. Sein Handwerk lernte er vom deutschen Exilregisseur Erwin Piscator. Und gleich zu Beginn seiner Künstlerkarriere wurde er auffällig durch seine einzigartige Fähigkeit, seinen Urin zurückhalten zu können - kurz vorm Pinkeln, mit offener Hose, vor dem Pissoir, zum Beispiel an einer Raststätte, nach stundenlanger Busfahrt.

Stellen Sie sich vor: Links von ihm steht Marlon Brando - rechts Tony Curtis, ein Pissoir weiter Walter Matthau. Das waren nur einige Mitglieder des Dramatic Workshop Ensembles unter der Leitung von Erwin Piscator, die auf Tournee waren. Sie waren jung, noch nicht berühmt, haben sich im Bus volllaufen lassen und mussten halt pinkeln. 

Marlon Brando (Klaus): „Ahhh!“

Tony Curtis (Alessandro): „Hallelujah!“

Walter Mattau (Klaus): „This is heaven.“

Nur Harry Belafonte war todstill. 

„Ein Tropfen und du bist Tod Nigger!“

Ein Revolverlauf bohrte sich in seinen Rücken. Es war ein Verkehrspolizist - ein Highway-Sheriff. 

Jahrzehnte später schrieb Belafonte: „Zum Glück bewies mein Urin Besonnenheit und zog sich zurück.“ Die Szene spielte sich in den 50er Jahren ab, als Rassentrennung in den Südstaaten Amerikas noch gesetzlich verankert war. Belafonte hatte zusammen mit seinen Kollegen versehentlich die für Weisse vorgesehene Toilette betreten. Damals eine schwerwiegende Straftat. Dieser Vorfall hatte ihn zutiefst verletzt und wütend gemacht. An dem Tag, an dem Harry Belafonte nicht mit seinen Kollegen zusammen pinkeln durfte, entschied er, sich in der Bürgerrechtsbewegung zu engagieren. Er wurde zum besten Kumpel von Martin Luther King, begleitete ihn bei allen Demos in den 60ern. Sein ganzes Leben lang kämpfte er für Gerechtigkeit und für Frieden.

„We are the world, we are the children.“ Klar, Michael Jackson hat da mitgesungen. Aber das Stück ist auf Initiative von Harry Belafonte entstanden: Künstler Gegen Hunger in Afrika! Er hätte eigentlich den Nobelpreis bekommen müssen. 

Belafonte war sowohl für Weisse als auch für Schwarze unumstritten ein Superstar: „The King of Calypso“. 

Seine einzige Macke war seine Spielsucht. Nobody is perfect, könnte man sagen. Doch wie kann man als Spielsüchtiger auf Entzug sein, wenn man immer in Las Vegas gastieren muss? Aber auch in Las Vegas galten damals die Rassengesetze. Na gut. Im Westen Amerikas waren die Leute etwas liberaler. Schwarze durften in den Hotels übernachten. Die Stars, meine ich. Sie durften lediglich nicht in Hotelpools schwimmen und die Spielcasinos betreten. Als die schwarze Sängerin Dorothy Dandridge mal ihren Zeh in den Pool steckte, wurde das Wasser gänzlich entleert und der Pool gründlich gereinigt. Das Schwimmbad blieb zwei Tage lang geschlossen. Für alle Hotelgäste. In der brütenden Hitze der Wüste. 

Harry Belafonte protestierte. Er wollte sein Konzert absagen und die Stadt sofort verlassen. 

„Only in a box“ antworteten seine Ansprechpartner. Also, nur in einem Sarg - wenn er seine vertraglich vereinbarten Verpflichtungen nicht erfüllte. Die Hotels, die Casinos, ganz Las Vegas gehörte nämlich dem Mob, der Mafia.

Plötzlich erschien er am Poolrand. Alle hielten den Atem an: die Gäste, das Personal, die Security, die planschenden Kinder. Belafonte lief langsam, ritterlich zum Sprungbrett. Springt er oder springt er nicht? 

„Mama, Mama guck mal: ein Neger ist ins Wasser gesprungen.“

“Sei still Johnny! Das ist Harry Belafonte.” 

Wissen Sie was danach passierte?

Alle Hotelgäste stürmten auf ihn, um Selfies zu machen. Na gut damals gab es noch keine Selfies. Aber doch Kodak-Kameras, Polaroids. So stürzte eine weitere Mauer gegen Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit ein. 

Übrigens, zwei Tage später erschien Harry Belafonte noch einmal, diesmal nicht in Badehose sondern im feierlichen Abendanzug und betrat nun das Casino… 

im Namen aller schwarzen Spielsüchtigen.

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