Coco Schumann und La Paloma

AUS „LIEDER UND GESCHICHTEN IM TRANSIT“

Text: Nedim Hazar / Regie: Heinz Kloss

Nedim Hazar, Volksbühne am Rudolfplatz, Köln, 2019. Foto: Hakan Güzey


Eine Theaterszene über den Gitarristen und  KZ-Überlebenden Coco Schumann aus der Musik Revue „Lieder und Geschichten im Transit“.

Früher in der Nazizeit in Berlin gab es ein Zeichen. So:

Dreht einen Knopf von seiner Jacke

Das bedeutete: „ich mag Swing-Musik.“

Das hat mir seinerzeit Coco Schumann erzählt - die kürzlich verstorbene Jazzlegende Deutschlands. Er war Swinggitarrist und das war total “in” damals in den 30er Jahren in Berlin. Die Nazis hatten Swing verboten. Und wenn Swing-Fans sich damals auf der Straße begegneten,

Wiederholt die Geste

drehten sie am Jackettknopf, als würden sie einen Radiosender einstellen. Das war ihr Erkennungszeichen, um sicher zu gehen, dass sie Gleichgesinnte waren. Dann ging die Party richtig los.

Swing-Musik (Sing sing sing)

Die Swing-Fans machten Fahrradausflüge, gingen schwimmen in den vielen Seen um Berlin. Sie hatten immer einen transportablen Plattenspieler mit dabei. Abends gingen sie in einen der Nachtclubs… falls sie reingelassen wurden natürlich. Tja, viele unter Ihnen waren minderjährig, wie Heinz Jacob. Er dürfte Nachts raus. Er war freigestellt von Hausaufgaben. Er durfte nicht einmal in die Schule.

Seine Mutter war jüdisch. Heinz Jacob Schumann. Er ist übrigens derjenige, der die Redewendung “Mampe” ins heute übertragen hat. Mampe halb und halb war damals ein beliebter Cocktail-Mix aus Bergamott-Likör und Bitter Orange. Und sogenannte Mischlinge wie Heinz Jacob nannten sich “Mampe halb und halb”. So Poesievoll. Selbst unter der Naziherrschaft.

Swing-Musik weiter.

Wie gesagt: Heinz Jacobs Mutter war Jüdin. Aber das war absolut Nebensache. Abends war Tanzen angesagt! Zur live Musik von Teddy Stauffer oder Helmut Zacharias. Heinz Jacob Schumann, der schon 16jährig super Gitarre spielen konnte, bekam bald sein erstes Engagement in einen der Club-Bands. Er wurde von Frauen verehrt: 

„O Einz, du ast so eine wunderbare Rhythmus, très excitant.“ 

“H-Einz heiße ich. Mit H vorneweg.“

„Ach chéri, ab jetzt eißt du Coco. Coco Schumann.”

Und wenn die Gestapo zur Kontrolle kam, wechselte die Band abrupt die Musik.

MUSIK: LA PALOMA

Die Nazis hatten ein Faible für Hans Albers und La Paloma.

MUSIK

Und sofort entspannte sich die Situation.

MUSIK

Coco Schumann, war klug.

MUSIK 

Noch bevor er kontrolliert werden sollte ging er zum Offizier..

MUSIK 

Und sang ihn direkt ins Gesicht.

KLAUS & NEDIM:
Mich trägt die Sehnsucht fort in die blaue Ferne

„Herr Kommandant. Herr Kommandant.“

MUSIK 

„Eigentlich müssen Sie mich sofort verhaften.“

MUSIK 

„Ich bin minderjährig. Ich mag Swing.“

MUSIK 

„Und ich bin ich Jude.“

Alessandro lacht. Musik Ende.

Die Gestapo-Leute lachten sich dann immer kaputt. Leute, so schlug sich Coco Schumann all die Jahre durch Nazi-Berlin! Und keiner hat’s bemerkt. Na gut. 1943, als er gerade 19 Jahre alt war, hat es Coco Schumann dann doch schwer erwischt. 

„Sie werden beschuldigt, den Judenstern nicht getragen, verbotene Musik gespielt und arische Frauen verführt zu haben!“

So stand es in seiner Vorladung. Leider stimmten alle Vorwürfe, vor allem der letzte. Coco musste ins KZ Theresienstadt.

Musik: „La Paloma“ weiter.

Theresienstadt war erstklassig. Café-Häuser, Cabarét, Theater, Musik. Als Zwangsarbeit, mussten die Häftlinge Spielplätze anlegen, Rosenrabatte pflanzen und die Straßen mit Seifenwasser reinigen. Coco Schumann wurde Mitglied der lagereigenen Big Band „Ghetto-Swingers“. 

MUSIK 

Als ein Dokumentarfilm über das Lager gedreht wurde, haben sie La Paloma gespielt.

MUSIK 

„Der Führer baut den Juden eine Stadt.“

MUSIK 

Was für ein genialer Titel für einen Film!

Nach den Dreharbeiten wurden alle Insassen dieses Vorzeige-KZs abtransportiert. 

Musik Ende

Nach Auschwitz.

Ihr kennt die Bilder aus Filmen. Die Züge kommen an, die Menschen steigen aus. Ein Hauptsturmführer steht dort parat und entscheidet an Ort und Stelle, wer direkt in die Gaskammern geht und wer noch etwas länger leben darf.

(in der Rolle des Hauptsturmführers)

„Du? Bist du nicht der… Du hast doch im Delphi- Palast in Berlin gespielt, nicht? Ich vergesse keine Gesichter. Du hast uns richtig verarscht damals, gell?… Wie? Du hast die Wahrheit gesagt? Dass du Jude warst? Stimmt. Mich hat Eure Musik total verblendet: „La Paloma“ habt Ihr gespielt. Mein Lieblingslied.“

„Oh ja… wir brauchen Musik hier auch. Gibt es andere Musiker unter Euch? Wer kann ein Instrument spielen?“

(in der Rolle des Entertainers)

So kam es meine Damen und Herren, dass Coco Schumann und ein paar andere glückliche Musiker eine Lagerkapelle in Auschwitz gründeten. Ihre Aufgabe war es, die ankommenden Menschenzüge mit Musik zu empfangen. Und zwar mit „La Paloma“. So überlebte Coco Schumann Auschwitz.

MUSIK - ALESSANDROS STÜCK

Nachdem Krieg ging er erstmal zurück nach Berlin aber er konnte mit seiner Stadt, mit seinem Land nichts mehr anfangen. Zusammen mit seiner Ehefrau wanderte er aus. Weit in die Ferne, nach Australien.

Coco Schumann wurde in einem Club in Melbourne bald als Musiker engagiert. Und wissen Sie was die Australier hören wollten? „La Paloma“!

Die Schumanns hielten es nicht lange in Australien aus. Sie hatten Heimweh und kehrten binnen wenigen Jahren zurück nach Deutschland. Es war die Zeit des Wirtschaftswunders. Willi Brandt kandidierte für das Kanzleramt. Bei seinem Wahlkampf 1961, engagierte er die besten Musiker Westberlins, die ihn drei Monate durch ganz Deutschland begleiten sollten. Coco Schumann war dabei. Gute Sache! Gut bezahlt. Einziger Haken: Auch „La Paloma“ gehörte zum Repertoire. Coco Schumann machte trotzdem mit.

MUSIK ENDE

Seine Lebensgeschichte hat er verheimlicht. Bis er gut über 60 war. Gefragt nach dem Grund, sagte er: „Ich bin ein Musiker, der im KZ gesessen hat. Kein KZ-ler, der Musik macht“.

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