Unsere
Hintergrundmusik

DOKU-SERIE / 2006 -2007 / 5 X 35 MIN.

Foto: Standbild aus der Serie


Die jeweiligen Titel der Serie von „Unsere Hintergrundmusik“ sind Zeilen von Liedern aus unterschiedlichen Musiksparten, die in der Türkei buchstäblich jede(r) kennt, ob im Dorf oder in der Stadt, jung oder alt, arm oder reich.

In der Doku-Serie singen die Menschen die Lieder vor der Kamera, ob Passanten auf der Straße, Saisonarbeiter auf dem Feld oder Konzertbesucher, und sie erzählen, wofür das jeweilige Lied in ihrem eigenen Leben steht. Außerdem werden die bekanntesten Künstler der jeweiligen Sparte interviewt, und entweder werden ihre Konzerte mitgeschnitten oder aber sie geben live aufgenommene Performances vor der Kamera. Im Mittelpunkt stehen jedoch immer die Songs selbst, ihre Entstehungsgeschichte wird in die jeweiligen historischen und sozialen Hintergründe eingebettet. 

Die Folge über oppositionelle Musik (2007) war besonders brisant: Darin kommt z.B. der populäre Sänger Ahmet Kaya vor, der wenige Jahre vor Ausstrahlung der Dokuserie aus einer Fernsehpreisverleihung herausgemobbt und wenige Tage später aus der Türkei herausgeekelt wurde, weil er ein Lied auf Kurdisch singen wollte. Kaya starb kurz danach im Pariser Exil. Ebenso kommt die linke Band Grup Yorum vor. Zwei ihrer Musiker starben im Frühjahr 2020 als Folge eines Hungerstreiks. 

„Unsere Hintergrundmusik“ stieß auf ein sehr positives Echo der Presse, hatte unerwartet hohe Einschaltquoten und wurde zu einem Meilenstein in der Geschichte des türkischen Fernsehens.

BUCH UND REGIE

Nedim Hazar Bora

KAMERA

Bahattin Demir

BERATER

Ömer Özgüner
Naim Dilmener
Can Kozanoğlu
Serkan Seymen

PRODUKTION

NTV

AUSSTRAHLUNG

NTV


Die einzelnen Sendungen

Wer kam wer zog vorüber

„Kimler Geldi Kimler Geçti“, ist mit der bekannteste Song der türkischen Popmusik, ist ein Cover von „If We Were Free“ des Engländers Tony Hatch. In den 60er und 70er Jahren wurden europäische Schlager, vor allem italienische und französische, auf Türkisch gecovert. Die so entstandene neue Sparte der Popmusik wurde „Aranjman“ oder „leichte Musik“ genannt. Solche Etiketten waren ausschlaggebend, um durch die Zensurstelle vom staatlichen TRT durchzukommen, dem einzigen Sender zu der Zeit. Sie prüfte nicht nur Liedtexte, sondern auch die Musik selbst. Mischungen, z.B. europäisch mit einheimischen Klängen, waren nicht vorgesehen. Es dauerte lange, bis der eigentliche türkische Sound im Pop eintrat.

In dieser Folge kommen Interpreten vor wie die legendäre Popdiva Ajda Pekkan, Alpay, Seyyal Taner, Nükhet Duru, oder Erol Evgin– Urgesteine des türkischen Pop. Stars der jüngeren Generation, z.B. Sezen Aksu oder Tarkan, sollten in einem anderen Teil dargestellt werden, der aber nicht mehr zustande kam.


Spielst Du mit mir?

Mit seinem gleichnamigen Album initiierte Bülent Ortaçgil 1974 die Sparte des Liedermachers in der Türkei. Selbstkomponierte Songs z.B. über die Einsamkeit, Liebeskummer oder den Sinn des Lebens in der Großstadt selbst zu singen, so etwas gab es zuvor nicht in der Türkei. Der Sound, Duktus und die Thematik waren mit der anatolischen „Aşık“ / Volksbarden-Tradition auch nicht zu vergleichen.

Ortaçgil und der gleichgesinnte Musiker Fikret Kızılok blieben lange Außenseiter im türkischen Musikmarkt. Anfang der 80er Jahre gründeten sie einen kleinen Musikclub im asiatischen Teil Istanbuls, der zum Sprungbrett für viele andere Bands und Künstler der späteren Generation wurde. Bülent Ortaçgil gastiert gelegentlich immer noch bei Rockfestivals und gilt heute als Meilenstein der türkischen Musik.


Der schwarze Zug

In der Türkei hat Volksmusik einen anderen Stellenwert als in Deutschland. In vergangenen Zeiten standen Volksdichter und Sänger im Mittelpunkt der Bauernkämpfe gegen Großgrundbesitzer. Heute ist Volksmusik der Soundtrack der kleinen Leute in Anatolien. Sie thematisiert u.a. das Leben in der Fremde und Fernweh wie im traditionellen Lied „Der schwarze Zug“. Die neue Interpretation des Stücks von Sabahat Akkiraz wurde millionenfach in den 80er Jahren verkauft und verhalf der alewitischen Sängerin zum Starstatus.

In dieser Folge werden u.a. Sabahat Akkiraz, Arif Sağ, Yavuz Top, die kurdische Sängerin Aynur und der legendäre, 2012 verstorbene Neşet Ertaş vorgestellt; Künstler, welche die strengen Zensurregeln der Volksmusiksparte des staatlichen Rundfunks vor allem aus politischen Gründen nicht bestehen konnten.


Vielleicht einmal im Leben

Der erste große Hit der türkischen Rockmusik wurde 1967 von Cem Karaca in Köln mit Kölner Background-Sängerinnen aufgenommen. 13 Jahre später – nach dem Militärputsch 1980 - kam der Interpret Cem Karaca erneut nach Köln, wo er mehrere Jahre im Exil verbrachte. Während Karaca über die Ausbeutung von Arbeitern sang, zog es der andere Vorreiter des türkischen Rocks, Barış Manço, vor, unpolitische Lieder über die Berge Anatoliens zu singen. 

Beide sind inzwischen gestorben. Ihre Musik inspiriert bis heute zahlreiche Rockbands der neuen Generation. Rock ist ein sehr verbreitetes Genre in der Türkei. Seine rebellische Seele findet sich in vielen Acts und Bands der heutigen Zeit, wie Duman, Mor ve Ötesi, Bulutsuzluk Özlemi, Teoman, Aylim Aslın, Erkin Koray, Athena und Moğollar. Sie kommen in dieser Sendung vor.


Ich stecke in Schwierigkeiten

Das Lied ist ein Hit des verstorbenen Sängers Ahmet Kaya aus den 90er Jahren und steht als Metapher für die Lage zahlreicher Musiker, die staatlich verfolgt und inhaftiert wurden, längere Gefängnisstrafen absaßen oder ins Exil mussten, während ihre Lieder in aller Munde waren. Die Türkei war immer skrupellos gegenüber oppositionellen Künstlern. Die Regierung unter Erdogan bildet keine Ausnahme.

Dies bestätigen Künstler und deren Angehörige, die in dieser Folge vorkommen: Şanar Yurdatapan, Selda Bağcan, Ferhat Tunç, Kayas Ehefrau Gülten Kaya, Zülfü Livaneli, Kardeş Türküler, Yeni Türkü usw. Die Folge „Ich stecke in Schwierigkeiten“ war das einzige Mal, dass die linke Band Grup Yorum im türkischen Fernsehen eine Performance geben konnte. Außerdem präsentiert die Folge zuvor nie gesendete Aufnahmen des Opernsängers Ruhi Su, der Volkslieder auf seine Art interpretierte.

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